2018 sind Menschen in mein Leben getreten, die für mich die ganze Schreiberei vom witzigen Hobby zur wahnwitzigen Berufung gewandelt haben – die kommenden Beiträge werden eine Rückblende sein.

Und beginnen wir mit einer Kurzgeschichte:

Der Spiegel


Silbern glänzende Oberfläche –
glasklare Augen sehn mich an.

Ich blicke in meinen Spiegel. Der Morgen ist hell und frisch, genau wie die funkelnden Augen, die mich aus dem Spiegel anstrahlen. Unglaublich, dass man so früh schon so gut aussehen darf! Noch einmal durch die Haare fahren, noch einmal den Kragen richten – hoffentlich ist das Rubenstein das richtige Hemd für diesen Tag.
In der Küche duftet der frisch gemahlene Kaffee und zusammen mit meinem neuen Parfum riecht das Zimmer gefährlich gut. Mein Handy vibriert: Mila hat mir geschrieben. Die roten Herzchen verraten alles: diese naiven Achtzehnjährigen …Da sehen sie mein Bild, dann lesen sie meinen Namen, schon sind sie verknallt. So leicht ist es wohl heutzutage. Mein Blick auf die Uhr verrät mir, dass ich noch sechs Minuten Zeit habe. In Ruhe leere ich meine Dibbern-Tasse und kremple mir die Ärmel hoch – welchen Eingebung hatte Ich noch diese Nacht? Dass ich mir das nicht aufgeschrieben habe … Aber heute kann Ich mir diesen Fauxpas erlauben: in letzter Zeit läuft alles so perfekt, alles ist so fantastisch, da darf man – Ich muss grinsen: Mutter Natur hat mich wirklich gesegnet, mein Spiegelbild im Glasschrank sieht verboten gut aus. Dass mir Hemden auch so gut stehen … Wenn Ich auf der Straße unterwegs bin, ist das ja beinahe ein Dienst an die Menschheit! Hoffentlich geht es  genauso weiter, wie in den letzten Tagen. Noch so ein Auftrag und ich hätte meine zweite Million! Und gegen die ganzen Komplimente hätte ich auch nichts, da könnte man höchstens verrückt werden … Das Grinsen will einfach nicht von meinem Gesicht weichen – wer würde das auch wollen? Meine Seminarschüler sicher nicht … Wenn Ich es denen wieder zeigen kann, wenn Ich sie wie gestern verbessern kann … langsam werden die Menschen verstehen, wie sagenhaft Ich wirklich bin.
Die Tür fällt ins Schloss und mein strammer Schritt bringt mich pünktlich zur Bushaltestelle. Ein alter Freund hat mir mal gesagt, dass ich ungewöhnlich oft mein Spiegelbild betrachte, aber wenn Ich ehrlich bin … Wer könnte da weniger oft in den Spiegel schauen? Ich finde, wenn etwas von Natur aus schön ist, habe Ich das Recht es so oft und so lange wie Ich will zu betrachten. Und was kann Ich dafür, dass es überall spiegelnde Flächen gibt? Ah, da kommt der Bus ja endlich. Ist das Simon? Dem muss Ich unbedingt erzählen, wie das Date von gestern Abend lief. Was hält der denn schon wieder so weit vorne? Versteht der denn nicht, dass Ich dann unnötige Schritte machen muss? „Hey Simon, du weißt ja, dass ich viel date: gestern war so eine Petite bei mir in der Wohnung. Man, war das eine lange Nacht …“ Warum lächelt der denn jetzt so hölzern? Hat wahrscheinlich länger schon keinen Stich mehr abbekommen. Ein leerer Bus, am Mittwochmorgen? Ein Geschenk.

Schönheit spiegelnd aus Glas entbreche,
zieht‘s mich nicht ewig in den Bann.

Mir blitzt ein strahlendes Lächeln zu. Das bin ja Ich im Busfenster! So – was, schon die Rustengasse? Und natürlich bremst Simon wieder zu ruckartig – fast wär Ich hingeflogen. Verabschiedet hat er sich auch nicht. Zum Glück ist das Café nicht weit, mit einem Bus zu einem Date fahren … Bin gespannt, was mir diese Mila so bieten kann. Wahrscheinlich alles, außer einem Nein. Noch kurz im Schaufenster die Frisur prüfen, ja – und wie gerufen schaltet die Ampel auf Grün, keine Sekunde muss Ich warten. Ich spür’s, das wird wieder ein geiler Tag! Die Terrasse vom GOTA ist vielleicht etwas klein und der Name klingt beschissen, aber zumindest ist der Kaffee gut. Ich versteh nicht wie die Leute zu Starbucks rennen können. Diesen Dreck kann man ja niemanden trinken lassen. Ist sie das? Ja, das muss sie sein. Das zieht sie zu einem Date an, echt? Hat die etwa vergessen, mit wem sie sich da trifft? Showtime.
„Hi, ich bin Sylko.“
Was war das denn für einen Händedruck?! Immerhin ein verdammt scharfes Lächeln. Und die Augen, haben mir schon alles verraten – das wird einfach. „Ich? Ich bin Socialmediamarketingmanager. Ja, ich weiß, das klingt groß, aber zurzeit arbeiten nur siebzehn Leute unter mir. Hier, schau, das ist mein aktuelles Projekt, für Bugatti. Genau, ich hab halt Kontakte und dachte, dass ich meiner Firma mal ein bisschen unter die Arme greife. Eigentlich müsste ich da nicht arbeiten, ich unterrichte ja auch noch. Und  das hier? Fühl ruhig, das ist reines Popeline …“ Das Hemd war eine gute Investition. Und wie sie mir an den Lippen hängt! Da wird bald noch ein Name auf der Liste stehen – bin gespannt, was da unter ihrem Rock auf mich wartet. Hoffentlich ist die rasiert. „… und dann war ich in der Schweiz, in irgendeinem Almölidorf, mit wahrscheinlich mehr Kühen als Menschen, und da war ein Schlagerfestival, also ganz schrecklichen Musik, aber ich dachte mir, schau mal hin. Und wen treff ich da? Einen alten Schulkollegen, wer glaubt‘s?! Und ausgerechnet er ist der Veranstalter! Natürlich hat der mich dann Backstage reingelassen, und mir Helene Fischer vorgestellt. Schade, dass die vergeben war …“ Sieht dieser verdammte Kellner denn nicht, dass Ich gerade spreche? Der kann nicht von hier sein – Kellner aus Wien haben eigentlich Respekt vor ihren Gästen. Ich hasse Unterbrechungen. „Doppelter Cappuccino.“ Was diese Mila wohl nimmt? Bestimmt einen ‚Kurkuma-Latte‘. Ai, das ist mir vorhin gar nicht aufgefallen: die hat irgendwas zwischen den Zähnen. Sollte ich …? Ach egal. Dann hat sie mir eben ihr Lächeln versaut. Schade, das einzig wirklich Scharfe an ihr. „… wie ich mit vierzehn Juniorenmeister im Halbmarathon geworden bin? Ja, irgendein Talent war da in mir, aber meine Eltern waren wohl zu dumm, um mich zu fördern, also musste ich das selbst in die Hand nehmen. Das hab ich dann immer gemacht et voilà: meine erste Million mit dreiundzwanzig. Ich erinnere mich noch… Da gab’s eine riesige Feier und meine damalige Freundin dachte sich: warum nicht genau dann einen Heiratsantrag machen? Genau dann?! Das kam einfach aus dem Nichts, und natürlich musste ich dann nein sagen – das war mir so peinlich!“ Bei der Geschichte muss Ich immer noch lachen! Aber warum lacht die nicht? Die sieht ja genervt aus? Mit der stimmt doch was nicht, Ich wusste es. Was sagt sie da? Was? Jetzt ist die einfach aufgestanden – und geht! Sie geht! Unfassbar – sollte besser mal Zähneputzen lernen. Und wie man sich anzieht. Pullover zu einem Date. Echt … Und jetzt – soll Ich auch noch ihren Café bezahlen, oder was? Die ticken doch nicht richtig! Wieso wollen die mir denn jetzt schon den Tag versauen? Und wieso kratzt dieses Scheißhemd jetzt. Toll, jetzt schwitz ich schon wieder. Ich hab keine Lust auf Schweißflecken, das sieht einfach lächerlich aus.

Nein, das Taxi nehme Ich sicher nicht. Kein Bock von einem Rumänen gefahren zu werden. Ja, der da sieht schon sympathischer aus. „Hi. Du darfst mich zur Oper bringen.“ Was hat er da gefragt? Ist er taub? „Zur O-per. Das große Ding beim Karlsplatz …“ Ich dachte, der wäre von hier? „Die O-per. Ja, genau! Ich halte da ein NLP-Seminar.“ Wetten, dass der keine Ahnung von NLP hat? „NLP kann man zu Self-development zählen. Also Persönlichkeitsentwicklung. Und NLP steht für Neuro-Linguistisches Programmieren. Klingt erst mal seltsam, aber als ich es das erste Mal gehört hab, hab ich’s dann schnell verstanden. Also prinzipiell ist NLP, also Neuro-linguistisches Programmieren, ein Begriff, der in sich schon erklärt, was er eigentlich bedeutet. Einfach das Gehirn benutzen! ‚Neuro‘,ist klar oder? Neuronen, Nervenzellen, da hört man ja den gleichen, im Deutschen sagen wir dazu Wortstamm, also grundsätzlich hat das auf jeden Fall etwas mit Nerven zu tun. ‚Linguistisch‘, ich weiß nicht ob jemand wie du Englisch spricht, aber ‚language‘ und ‚linguistisch‘, hören sich ja ähnlich an, und haben auch denselben Ursprung; irgendwas mit Sprache halt. Und Programmieren, ich mein, wer weiß heute nicht was Programmieren ist? So einfach ist das erklärt. Also in kurz: durch Linguistik die Neuronen programmieren. Einfach, oder? Das ist so genial, wirklich! Was ich mit Sprache alles machen kann! Wenn ich jetzt Tisch sage, oder noch besser, wie vorhin: wenn ich Oper sage, und einer versteht das nicht, dann wird es schwier-“ Warum hält der denn jetzt? „Hier muss ich nicht raus, zur O-per, das große Teil da – was?“ Was faselt er da? Wie soll Ich denn diesen serbischen Nonsens verstehen? „Hast du sie noch alle?! Raus?! Was? Beruhig dich mal, du – ich geh ja schon!“ Hätte mich dieser Affe fast rausgeschmissen, wenn ich nicht gegangen wär – was soll denn dieser Schwachsinn? Genau deswegen fahr ich mit diesen Tschuschen nicht mehr. Immerhin hat der kein Geld von mir bekommen. Aber von einem Ausländer lass Ich mir den Tag sicher nicht versauen.
Da drüben wartet Franco ja schon auf mich. Den Anzug kann der doch nicht wirklich angezogen haben? Bin Ich ihm denn kein Vorbild? Zum Glück unterrichtet er nicht … Echt, so ein Anzug?! „Franco, du alte Kloake! Du kannst doch nicht so einen Anzug anziehen! Da sieht man ja nur deine Wampe! Jetzt schau nicht so, war bloß ein Witz. Hast du schon alles vorbereitet?“ Ich hasse es, ihm Fragen zu stellen. Immer spricht er zu leise. Und dann dieses Doppelkinn … ekelt mich an. Diese glänzenden Fett… – nein, Schweißschlieren, die aus diesen Hautfalten kommen – mir wird schlecht. „Jaja, passt schon Franco. Ist eh im gleichen Raum, oder? Ich finde auch alleine hin.“

Wenn sich Leben nur doch mal räche;
er, der wohl scheinbar alles kann.

„Dann fange ich mal an! Als erstes: die Mittagspause ist um ca. vierzehn Uhr. Draußen gibt’s dann Kuchen für die Hungrigen, wie Franco hier, und ich glaube auch irgendwo einen Apfel gesehen zu haben. Als zweites: Hier vorne, auf dem Tisch neben mir, liegt mein jüngstes Buch – ‚Schnelllesen leicht gemacht!‘ Dadrin steht alles, was es über das Schnelllesen zu wissen gibt. Und für Teilnehmer des Kurses gibt’s da einen Rabatt von fünf Prozent! Sicher fragt man sich nun: wie kommt jemand wie ich eigentlich dazu, ein Buch zu schreiben? Nachdem ich ja schon sehr früh meine erste Million verdient hatte, wusste ich nicht, was ich noch so erreichen wollte. Und da ist mir aufgefallen, dass die Menschen ja verfallen, wie zum Beispiel Franco hier – Scherz! Aber es kann doch nicht sein, dass, zum Beispiel, mein Vater doppelt so alt ist wie ich und nicht mal zwei Bücher gelesen hat! Nachdem mir das aufgefallen war, musste ich ja schon fast etwas von meiner kostbaren Zeit nehmen und dieses Buch schreiben. Und so …“ Oh Mann, ist das wieder ein öder Haufen. Dahinten sitzen zwei, die tuscheln schon die ganze Zeit, die hier vorne spielt mit ihrem Handy und der Rest schläft wohl noch. Warum sind die dann überhaupt hier, wenn die mir nicht zuhören wollen? „… und um kurz noch bei meinem Buch zu bleiben: wie schnell ist die durchschnittliche Lesegeschwindigkeit eines Menschen? Wer ahnt es? Hundertachtzig Wörter in der Minute! Ich hätte das auch nicht geglaubt! Und darum ist es wichtig, dass ich noch beim Schnelllesen bleibe, bevor es mit NLP losgeht. An dieser Stelle zitiere ich gerne Gandhi: Ich will nicht nur an euren Verstand appellieren. Ich will eure Herzen gewinnen.“ Jetzt die Kunstpause, lächeln – perfekt!

Zweifel wuchert in seiner Schwäche,
ihn zerfrisst Zweifel irgendwann.

Wie sehe Ich denn aus?! Das muss dieses grüne Licht sein. Ich hasse diese Klos. Ich hasse diesen Geruch. Was ist denn nur los, wieso sind die nicht begeistert? Das kann einfach nicht sein! Können die Menschen noch nicht einmal Qualität sehen, wenn Ich direkt vor ihnen stehe? Worüber haben die zwei Jungs in der Ecke denn die ganze Zeigt gelacht? Und die eine hat ihr Handy nicht einmal weggelegt und – okay, ruhig atmen. Keine Panik. Schau dich an. Ich sehe mich, ja, im Spiegel. Du bist auf jeden Fall großartig! Ich muss es sein. Aber warum schwitz ich denn schon wieder?! „Verfluchter Scheißdreck!“ Warum ist es hier immer so heiß?!
„Sylko?“
„Ich komm‘ gleich.“ Was will der denn jetzt von mir? „Franco, ich hab doch gesagt, ich komm gleich!“ Jetzt kommt sicher irgendein beschissener Ratschlag. Von einem Fetten brauch Ich das jetzt wirklich nicht. Wie kann es sein, dass es die letzten Tage so unglaublich geil lief, und das heute alles so, ungerecht …? Was hat er jetzt gesagt? Ich nicke einfach. Oh Mann, jetzt hat er mich wirklich an meiner Schulter berührt. Mit seinen wulstigen Flossen. Zum Glück bin Ich nicht so ein Versager. An seiner Stelle würd ich wahrscheinlich jeden Tag vor Selbstekel im Bett liegen bleiben. Würde auch sein Gewicht erklären. „… jaah! Gleich dann.“

„Ist doch unglaublich, Mutter, was mir  heute passiert ist, oder? Die Zwei sind dann, mitten in meinem Vortrag. Mitten in meinem Vortrag! Während ich gesprochen habe! Sind die einfach aufgestanden und gegangen! Und der Eine hat noch ganz frech ‚einen schönen Nachmittag‘ gewünscht. Respektlos! Respektlos ist das. Für wen mach ich denn das alles?! Ich kann mir das nur so erklären: die hatten keine Ahnung wer ich bin. Wen sie da vor sich hatten …“ Was erzähl Ich das meiner Mutter überhaupt? Ständig dieser Blick, als ob sie Mitleid hätte. Bemitleidenswert. Hätte sie mal besser Mitleid mit diesen Seminaridioten. Ich hoffe meine Schweißflecken sind weg. Zum Glück sind meine Haare perfekt. Ich weiß ja, wie stolz Mutter auf mein Aussehen ist … Jetzt kommt sicher noch etwas gut Gemeintes von ihr, aber das ist halt nur, eben – „gut gemeint. Vielleicht sollte ich wirklich mal wieder einen Halbmarathon gewinnen. Da gibt’s wenigstens Menschen, die mich zu schätzen wissen.“ Es ist ja  doch nett, dass sie versucht zu helfen… Aber seitdem Robert weg ist, machen mich ihre Bemühungen einfach nur traurig… Vielleicht sollte ich ihr vom gestrigen Date erzählen? Das muntert sie sicher auf: „Heut Morgen ist Simon wieder gefahren, dieser Busfahrer, und ich weiß, dass er, so als Durchschnittstyp sicher keine Dates hat. Da konnte ich auch nicht widerstehen und musste ihm erzählen, wie es gestern eben war. Hier, schau Mutter, die Kleine hier, da siehst du sie, nein, auf dem Foto ist sie besser. Hübsch, oder? Und die hat mir so aus der Hand gefressen, das war schon fast langweilig. Wär die nicht so scharf gewesen hätte ich so eine gar nicht mit in die Wohnung genommen …“
„Sylko …“
Ich kann sie nicht verstehen, wenn sie so nuschelt. Wieso schaut sie mir eigentlich nicht in die Augen? Ständig das Gleiche mit ihr. Für so etwas habe Ich keine Zeit. „Ich muss jetzt los, Mutter. Hier, der ‚Café‘ geht auf mich.“

Ich liebe laufen. Ich liebe es, meinen Puls so zu spüren, wenn meine Kraft durch meinen Körper pumpt, ich liebe es! Dann fühle Ich mich so lebendig! Und dann mit dieser Dämmerung, Ich allein auf der Bahn, perfekt. Dann ist mir dieser Scheißtag auch egal. Verdammt nochmal. Wie konnte das alles passieren? Wie konnte mir so etwas passieren? Ich bin doch … ein geiler Typ! Ich bin einfach großartig! Was soll Ich denn noch alles machen? Ah, da läuft mir was entgegen. Schön von weit … Hm, aber … bei weitem nicht schön. Naja. Dann kann ich auch wieder langsamer laufen. Ich versteh das einfach nicht. Es lief doch alles so gut, warum war es heute so beschissen? Hatte Ich vielleicht Pech? Einfach unglaublich großes Pech? Mit diesen ganzen … es gibt ja Egoisten und Idioten, die so mit sich beschäftigt sind, dass sie mich vielleicht gar nicht wahrgenommen haben! Und vielleicht, nein, Ich bin mir sicher – heute waren es ganz sicher nur solche. Was für ein Riesenpech muss man da haben?! Aber dafür kann Ich ja nichts. Was sollte mich das noch kümmern? Fast hätte ich gedacht, dass … Aber solche ‚Menschen‘ lassen mich kalt! Wenn die nicht sehen können, wer Ich bin, wenn die zu dumm sind, um mich wahrzunehmen … Obwohl Ich äußerlich und innerlich so schön bin! Verrückt … Oder vielleicht bin Ich zu schön? Vielleicht waren sie … blind? Aber das wär mir ja noch nie passiert. Oder? Ich mein, wie könnte man das hier nicht erkennen? Oder die waren vielleicht neidisch … Neid macht ja bekanntlich blind. Ja, wenn ich es mir Recht überlege: das mit dem Neid macht am meisten Sinn. Alle waren neidisch auf mich; ist sicher auch schwer für Franco … Wenn ich an seiner Stelle jemandem wie mir begegnen würde … ich würde vor Neid platzen! Ich bin ja sportlich, gutaussehend, hab immer zu den Besten gehört, Ich werde bewundert, vergöttert … Da kann Ich gar nicht mehr aufhören zu grinsen… Genau richtig für meinen achthundert Meter Sprint, danach geht‘s zum Nihonbashi.

„Ach laber doch nicht!“ Was Jonathan auch immer für einen Blödsinn erzählt, wenn wir telefonieren. „Nein, hör mir doch mal zu. Ich glaub wirklich, dass die Leute einfach, ja, neidisch waren. Wie kleine Kinder. Über den Erwachsenenführerschein sollte mal nachgedacht werden …“ Was sagt er da? Es ist – was?! Meine Schuld, wenn die Gruppe nicht zuhört? Hat der sie noch alle? Was für ein Spacko! Warum ist so jemand überhaupt mein Freund? „Jetzt halt mal die Klappe. Nein. Nein, passt schon, lass mich einfach ausreden. Alter, was ist los mit dir? Weißt du, dass du mir gerade meinen Tag versaust, mit deiner beschissenen Art?! Ganz ehrlich, wenn du so drauf bist, dann ruf doch nicht an, Arschloch!“ Was sollte das denn?! Dieser – Tag! Was für ein Vollidiot. Ich sollte meine Freunde besser auswählen. Der ist ja noch dümmer als alle aus dem Seminar zusammen! Ich glaube langsam wirklich, dass die Leute mir nicht zuhören. Wie viel soll ich denn noch reden?! So viele Hohlköpfe können doch nicht durch die Gegend laufen … Was ist nur mit diesem Jonathan? Wir kennen uns zwei Jahre, wir haben uns immer gut verstanden … Nein! Nein, vielleicht ist er ja auch neidisch geworden?! Das darf nicht wahr sein … Wenn meine Freundschaft wegen seinem Neid zerstört wird! Das wär doch … Aber was soll ich denn machen?! Hunger hab ich jetzt auch keinen mehr. Dieser verdammte Scheißtag.

Spiegelt es an der Oberfläche,
und in seiner Tiefe spiegelt’s dann.

Ich muss das Badezimmerlicht wechseln. Das ist abends viel zu grell. Ich finde, dass mein Spiegelbild dann nicht so gut aussieht wie in Wirklichkeit. Da beim Kinn die paar Bartstoppeln, da beim Kiefergelenk – ein Pickel?! Und die Stirnfalten sieht man da auch, verflucht! Nein, diese Lampe muss jetzt gewechselt werden. Irgendwo habe ich sicher noch eine richtige Glühbirne.

Wenn ich ehrlich nur zu ihm spreche,
dann rettet er mich aus dem Bann?

Verfluchtes Scheißlicht! Ich dachte ich hätte noch eine richtige Lampe! Scheiße, was ist denn heute los?! Wie kann ein Tag nur so unmenschlich sein? Wie kann ein Tag von morgens bis abends – falsch sein?! Zuerst diese Tussi, dann der Taxler, dann dieses Scheißseminar und dann das mit Jonathan! Ich versteh das nicht! Wenn ich mich so anschaue … Wenn Ich mir zum Beispiel vorstelle, dass jemand wie Ich vorne steht und unterrichtet, als einfacher Kursteilnehmer wäre Ich doch jede Sekunde begeistert! Ich würde an diesen Lippen hängen, würde dieser wunderschönen Stimme lauschen – Ich wär ja schon hin und weg, wenn Ich bloß in meine funkelnden Augen blicken dürfte! Ich muss als Referent wirklich faszinierend sein. Vielleicht war es ja das. Ich bin zu faszinierend, wie soll man da auch etwas mitbekommen? Die Beiden, die früher gegangen sind, haben wohl viel zu früh den Faden verloren. An ihrer Stelle wäre ich dann vielleicht auch gegangen …? Oder vielleicht war es einfach zu hoch für sie. Aber warum ist eigentlich diese Mila abgehauen? War die auch zu fasziniert? Ich kann sicherlich einschüchternd wirken … Ja … sie führt wahrscheinlich so ein Normalo-Leben, und Ich dagegen … Ist schon ein harter Kontrast. Aber es gibt ja genug Frauen. Nur das mit Jonathan … So war der ja noch nie drauf! Komisch. Dass mein Körper trotz dieses schlechten Lichts so gut aussieht! Meine Proportionen, da muss man Mutter Natur echt … Dieser Körper! Was wäre mein Spiegelbild bloß ohne mich?

So lang er’s noch zerbrechen kann –
ist geblendet sein meine Schwäche?

Wenn Ich über Jonathan nachdenke, der kann mir einfach nicht richtig zugehört haben. Jetzt kommt‘s mir erst! Der ist doch mit dem Kopf so tief in seinem Arsch, der hat mir wahrscheinlich noch nie richtig zugehört! Bekommt wohl die Sachen immer nur am Rande mit. Klar, dass er mir dann so einen Schwachsinn erzählt. Das wird‘s sein. Er labert eigentlich nur von sich, wenn Ich nicht gerade von etwas Wichtigem spreche. ‚Uh, schau, wie toll ich bin! Schau, was ich alles geschafft hab: die Beförderung, und das Model, und den ersten Platz, und den Rekordumsatz …‘ Sowas von nervtötend. Aber wenn er wirklich neidisch ist, sollte ich ihm vielleicht verzeihen … Neid ist eben gefährlich. Er ist ja auch nur ein Mensch. Wie jeder andere. Wie Mama. Die ich ja aufheitern muss, nach der Geschichte mit Papa, und mit ihrem langweiligen Leben … Zum Glück kann sie mir zuhören. Eigentlich war sie eine gute Mutter. Hat immer für mich gekämpft … War immer für mich da. Und dann ist Papa weg. Pf! Einfach weg! Wegen nem Weib. Ich weiß noch, wie es Mama das Herz gebrochen hatte … Und dass sie immer noch so traurig schaut … Hoffentlich muntert es sie auf, wenn ich von mir erzähle. Ihr Sohn: sieht gut aus, ist erfolgreich, verändert die Welt … Mein Wirken in der Welt – Ich, das Vorbild! Papa wollte das ja auch für mich, aber nur weil der zu schwach war. Weil er nie die Möglichkeit hatte, hat er immer gesagt. ‚Du musst das machen, Sylko‘. Und darum ist er dann abgehauen? Darum hat er vor zwei Jahren gesagt: Familie, leckt mich, Ich hau ab! Darum hat er mich und Mama dann einfach allein gelassen? Wir waren verdammt nochmal eine Familie, Wir drei: Mama, Papa, ich. Und sie haben zu mir aufgeblickt! Sie haben an mich geglaubt, beide! Wie konnte er bloß Mama und mich alleine lassen? Mich alleine lassen! War ich nicht genug? Hat er mich nicht geliebt? Wie konnte er mich nicht lieben, und dann einfach abhauen? Weg! Hat nicht mal an mich gedacht! Dass mich das verletzen könnte? Dass ich darunter leiden würde? Wie konnte er nur so selbstsüchtig sein und nicht sehen, was er damit anrichten würde?! Wie konnte er so blind, so gestört sein, seine Familie im Stich zu lassen – mich im Stich lassen! Wie sollte ich das denn bewältigen? Wie sollte ich es schaffen, nachdem er weg war? Die ganze Schuld, die ganze Angst – wie konnte er nicht das sehen, was er mir damit antun würde? Wie, zur Hölle? Wie, zur verfickten Hölle, konnte er nur?! Wie konnte dieser Dreckskerl so grausam zu mir sein? Wie darf er noch durchs Leben gehen, nach allem, was er mir angetan hat?! Wie kann jemand wie er sich überhaupt noch in die eigenen Augen blicken?

Wie wütend sticht die Wahrheit dann,
wenn das Bild des Blinden endlich bricht.


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