Als ich ihre Hand mit meinen Fingern spürte – da wurde mir plötzlich bewusst, wie besonders Hände eigentlich sind. Wie intim. Wie viel durch sie geschieht. Durch einfache Berührung. Werden zwei scheinbar Getrennte scheinbar vereint, für die Dauer des Kontakts … über eine Fingerspitze voller Lust oder reinste Blöße in einer Handfläche … ein Griff und Bestimmung – oder Knöchel und Blut. In der Hand eines Menschen steckt Zukunft und Vergangenheit. Und ihre zog sie von mir fort.
Schließlich war sie meine Patientin – gewesen, bis zu diesem Augenblick. In dem ich mich nur befand, weil wir uns bei der letzten Behandlung beinahe geküsst hätten. Und eigentlich auch, weil es schon so spannungsgeladen begonnen hatte.
Lesend saß ich hinter der Rezeption, als sie hereinkam und mir die Sprache verschlug. Heimlich blickte ich, und heimlich blickte sie, bis wir uns auf einmal ansahen und uns in zartester Weise berührten, für einen ganzen Augenblick. Und wie ich da gehofft hatte, dass sie Massagen brauchte, und der Arzt mich dafür einteilte: Der Selbstheilung ihres Körpers mit gezielt gesetztem Druckschmerz entscheidend zu helfen – denn nichts anderes bedeutet Massage: Erst die ganze, bisher gelebte Lebensweise eines Menschen ertasten in den Verspannungen, Blockaden und Asymmetrien des Körpers und dann jenen physisch eingefangenen Stress zu befreien … unter Schmerzen. Oft mit Stöhnen, manchmal sogar Lachen – bis sich irgendwann vom behandelten Punkt aus ein erlösendster Genuss ausbreitet, den ganzen Körper füllt, das ganze Wesen einnimmt und Einklang erzeugt mit sich selbst und der ganzen Welt in wuchtig leichter Trance – das bedeutete Massage. Und in jeder Therapiestunde war diese Erfahrung möglich. Wie pervers da die Spaltung von Beruf und Privatperson erscheint! Einerseits berührst du einen Menschen in solch intimer Weise; andererseits ist dieser ein kaputtes Objekt, dessen Teilreparatur du in einer begrenzten, bezahlten Zeit erledigt haben sollst.
Nur wird all das hinfällig, wenn es zwischen ihr und dir vom ersten Augenblick an gefunkt hat, dass es in der Seele brennt, die verkörperten Rollen hemmender Professionalität spielen zu müssen – vielleicht hatte aber genau das ihr und mein Feuer entzündet? So oder so lag sie zwanzig Minuten nach unserer ersten Begegnung halbnackt auf meiner Therapieliege. Das half nicht. Auch nicht, dass sie den hübschen Namen meiner Mutter trug. Und dass sie wohl die kroatische Göttin schüchterner Schönheit hätte sein können – die sich, wie ich Therapiestunden später erfuhr, das blauschwarze Schmetterlingstattoo an ihrer Hüfte hatte stechen lassen, weil sie jene flatternden Grazien der Natur fürchtete – das machte mich verliebt.
Fortan folgten vor jedem Wiedersehen jugendlichste Schmetterlinge im Bauch; und, das immergleiche Ritual: Ich rief sie auf, wir sahen uns an, lächelten verschüchtert; ich bat sie in den Raum und wartete draußen, während sie sich auf die Liege legte mit ihrem B.H., damit, nachdem ich diese massagestörenden Tatsache dann unnötigerweise erwähnt hatte, sie unbeholfen versuchen konnte, ihn zu öffnen, bis ich endlich aus Höflichkeit gefragt hatte, ob ich ihr nicht helfen solle, worum sie mich dann auch erleichtert lachend bat. Dann verwandelte sich dieses Ritual zur schönsten Folter. Ich sollte durch ihre gebräunte, wunderweiche Haut hindurch das rein berufliche Gesundheitsversprechen aufrechterhalten – denn immerhin wurde sich hier voller Vertrauen anfassen lassen – und aber doch angefasst! – während sie dagegen ankämpfte, ihre Genusslust zu offen zu zeigen. Dann noch das schreckliche, spielerische einander-Kennenlernen im Gespräch; all das Lachen und Berühren; das Lodern und das Wollen des anderen zu spüren – ich hatte keine Wahl mehr, jetzt! Sie hatte die Ordination gerade verlassen. Und mein Herz schlug bestialisch. Denn ich würde es tun; ich musste es tun! Also riss ich die Tür auf und jagte die Stufen hinab – während sie gerade aus dem Lift stieg und mich milde überrascht ansah.
„Es ist kompliziert“, war ihre Antwort dann. Weil es da jemanden in ihrem Leben gab, mit dem es … nicht so richtig und aber doch und – ja: Ich hatte die Grenze überschritten. Und sie gab mir diese in Höflichkeit eingepackte Absage. Und wie wir da so standen, und uns anstarrten, mit noch schamroten Gesichtern, da zog es uns plötzlich an, als ob wir magnetisch geworden wären; schon ruhten ihre Hände an der Rückseite meiner Oberarme, und meine an ihrer Hüfte, und alles stand still.
Bevor wir uns dann nie wieder sehen sollen, nahm ich noch ihre Hand, spürte sie mit meinen Fingern … bis sie diese von mir fortzog und mit Blick auf dem Boden verschwand. Und ich, enttäuscht wie erleichtert, ging die Stufen wieder hoch, zurück zur Ordination, und was ich da sah, konnte ich kaum glauben: Da, auf der geschlossenen Tür, kroch eine Raupe. Eine schwarzblaue Raupe.
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